Der Himmel über Sibiu (= Hermannstadt in Siebenbürgen in Rumänien)
Man sieht nur eine Rauchschwade am Stadtrand, sonst ist alles still. Der Rauch ist Zeuge von dem, was hier heute Morgen um 7 Uhr passiert ist.
Es ist noch früh und die Kinder in den Hütten am Stadtrand (wir nennen das Armenviertel Cascada 3) schlafen.
In einer Hütte liegt Denisa, 17 Jahre alt mit ihrer kleinen Tochter und dem frisch entbundenen Baby im Arm, sie ahnten und wussten von nichts.
Dann kamen sie, die Maskierten. Sie sind von der Polizei in Sibiu ... Zwangsräumung ... Sie kommen mit über 30 Autos und vielen Einsatzkräften, sie schreien und brüllen, es riecht nach Benzin.Schnell müssen die Bewohner ihre Hütten verlassen, wer nicht will wird herausgezerrt.
AUF DEN BODEN!!! AUSWEISKONTROLLE!!!
In Windeseile werden die vorhandenen Ausweise überprüft und ein Abtransport der Menschen in die jeweiligen Städte, in denen sie gemeldet sind, angeordnet.
Einige Frauen werfen sich vor die Hütten, die mit Benzin übergossen werden ... es bringt nichts.
In 2 Minuten steht die Siedlung in Flammen.
Die Menschen werden in die Autos geschubst und in andere Städte gebracht, wo man sie auf Feldern zurücklässt.
Mich kennen die Menschen der Siedlung, da wir dort manchmal Nothilfeleisten, sie versuchen mich von öffentlichen Telefonen anzurufen, weinen und wissen nicht, wohin sie gehen sollen.
Ich fühle mich machtlos.
Sozialwohnungen gibt es so gut wie nicht und die Stadt Sibiu hat mit dieser Aktion eine klare Ansage gemacht. Was jetzt aus ihnen geworden ist? Ich weiß es nicht, möge der Himmel mit ihnen sein. Denn es wird Winter.
Wenn ich solche Tage erlebe, dann frage ich immer, wie weit man hier noch gehen wird.
Wie weit können sie noch gehen?
Das westliche Ausland wundert sich über Scharenweise Roma in ihren Städten, die dann auch noch interessante Verhaltensweisen zeigen ... sie haben es hier nicht anders gelernt.
Hier muss man ein Wolf sein um zu überleben, wenn man Roma ist.
Im Jahr 2014, noch immer Menschen in Hütten auf Müllhalden?
Ohne Wasser, ohne Strom?
Und dann sagt der Staat hier, sie haben die gleichen Rechte?
Ich kann dazu fast nichts mehr sagen.
Fakt ist, noch immer wird unser Projekt zu 100 Prozent aus dem Ausland bezahlt, es würde hier glaub ich so schnell keinem einfallen, uns etwas dafür zu spenden, diese Kinder zu beschulen und ihnen Essen zu geben. Ganz im Gegenteil, man hasst mich dafür.
Und doch haben wir wieder großes Glück gehabt.
Nachdem unser alter Vermieter uns dann mit dem Kinderhaus nicht mehr so wirklich haben wollte, habe ich doch tatsächlich Jemanden gefunden (nach 2 jähriger Suche) der bereit war, uns ein ganz großes Haus für das Kinderhaus zu vermieten.
Weinend vor Freude habe ich den Mietvertrag unterschrieben.
Jetzt haben wir richtig Platz zum Spielen, Lernen, Essen...wir haben sogar eine Küche einbauen können, in der wir dann selbst für die Kinder ganz offiziell kochen dürfen.Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich unsere 60 Kids waren, als sie das neue Haus gesehen haben und den Spielplatz gleich im Garten.
Manchmal tut es mir leid, sie für die Hausaufgaben zu rufen, denn immer wenn ich sie so spielen sehe, dann weiß ich, dass das die wertvollsten Momente ihrer Kindheit sind, die sie nie vergessen werden. Sie können dann einfach unbeschwert das sein, was sie sein möchten, Kinder.
Mittlerweile haben wir eine 8. Klasse, die mein ganz besonderer Stolz ist und ab nächstem Jahr werden wir uns damit beschäftigen, ihnen Ausbildungsplätze zu suchen.
Sicher wird das nicht so leicht werden, aber da sie dann eine abgeschlossene Schulbildung vorlegen können, sind ihre Chancen doch um ein Vielfaches höher.
Es ist komisch, obwohl um mich herum ja doch alle verrückt spielen. Es wird beleidigt, geschlagen, gedemütigt, geräumt, verbrannt...
Und doch ich glaube an unser Projekt und an das, was wir hier tun, denn es kann auf Dauer nur die Antwort auf die vielen Fragen sein, die die Massenauswanderungen aus den EU-Ostländern betreffen.
Die Menschen müssen in erster Linie dort ausgebildet werden, wo sie auch geboren sind und dann steht es jedem frei zu tun, was er möchte. Wenn sie dann in ein anderes Land gehen möchten, haben sie entsprechende Abschlüsse und können sich ihr Geld mit ehrlicher Arbeit verdienen und nicht bettelnd in der Fußgängerzone.
Ich kennen viele Familien, die nur aufgrund des Kinderhauses Rumänien nicht verlassen, weil sie wissen, dass das eine echte Chance ist auf ein besseres Leben.
Viele sagen, oh Jenny. Wie kannst Du immer betteln für das Kinderhaus, ich könnte das nicht.
Doch das kann man, wenn man weiß, woran man glaubt und ich bekomme es jeden neuen Tag zu sehen, wie sich Kinder, die, selbst wenn sie auf Müllhalden geboren sind, doch zu kleinen Persönlichkeiten entwickeln.
Ich sehe wie sie lernen, begreifen und auch anfangen, die Welt um sich herum mit anderen Augen zu sehen.
Eines Tages werden sie erkennen, wie hier die Gesetze gebogen werden, nur um ihnen das Leben noch schwerer zu machen.
Aber sie werden auch wissen, ihren Standpunkt zu vertreten und für sich selbst zu sprechen, da sie in all den Jahren eine eigene Persönlichkeit geformt haben.
Sie haben dann gelernt, dass es Menschenrechte gibt und wie man eine Diskussion führt, ohne dabei auszurasten.
All das nennt sich Leben und wir sind alle mittendrin.
So kommt ein 8-jähriger Junge aus dem Kinderhaus und bringt mir seinen leeren Teller in die Küche, er sagt, dass das Essen sehr gut war und lacht und fragt mich nach dem Lappen um den Tisch abzuwischen. Ich gebe ihm den Lappen, er dreht sich um und ich sehe an seinen Armen die Spuren von Gürtelschlägen, es sind lange Striemen, die mir selbst beim Hinsehen wehtun.
Während er den Tisch abwischt erzählt er mir, dass er, wenn er mal groß ist, Verkäufer werden möchte und sich freut, denn heute hat er Schwimmkurs...
Er weiß, dass ich seine Striemen gesehen habe, lächelt und sagt. Das sei nichts... Danach nimmt er seinen Fußball und geht zu den anderen Jungs auf den Spielplatz, ich wende mich ab und doch schaue ich ihm nach, sehe wie schön er mit den anderen spielt, er passt gut auf, dass er niemanden verletzt. Weil er weiß, dass man das nicht darf...
Sein Weg wird noch weit sein und schwer, aber in meinem Herzen weiß ich, dass er die Chance hat, einmal Jemand zu sein der nicht der geprügelte sein wird ... vielleicht ein Verkäufer. ..
Ein anderes Mal fahre ich eine Gruppe von Kindern von der Schule ins Kinderhaus. Daniel (12 Jahre) darf vorne sitzen.
Es ist Montag und ich frage Daniel, was er am Wochenende gemacht hat. Er sagt am Sonntag war er Nüsse sammeln. Er erzählt mir, dass er neun Kilo gefunden hat und sie in Plastiktüten verpackt hat.
Danach sei er ins Dorf gegangen, sie zu verkaufen. Jede Tüte 1 Lei (0,23 Euro). Bis zum Abend habe er es geschafft, alle zu verkaufen.
Dann fragte ich ihn, was er mit dem Geld gemacht habe und befürchtete schon, er habe es seiner Mutter gegeben, die leider starke Alkoholikerin ist...
Da lachte er und schüttelte den Kopf, nein von dem Geld habe er ganz genau 9 Pampers kaufen können für seine kleine Schwester Adelina, die brauchte sie dringend...
Das war der Daniel, den ich vor 5 Jahren kennengelernt habe und der nicht mehr als beschulbar galt. Er geht heute in die 6. Klasse ... er mag die Schule...Nun sagen Sie mir, wenn es doch ein Kinderhaus schafft so etwas Schönes in einer solchen Welt hervorzubringen, wie könnte ich Sie nicht bitten uns weiter zu unterstützen?
Es wird nun mal der Winter kommen und wir werden, wie immer, sehr viel Essen brauchen und Gas bezahlen und Miete und Licht und Lehrer und Nothilfe...
An diesem Weihnachten möchten wir mit den Kindern gerne die Weihnachtsgeschichte mit Mr. Scroog von Charles Dickens als Theaterstück einstudieren. Wir haben so viel vor.
So zum Beispiel auch eine Weihnachtsfeier mit den Kindern zusammen für ihre Großeltern und jüngeren Geschwister auszurichten.
Ich habe immer an die Kinder geglaubt und sie waren es wert etwas für sie zu tun, auch wenn es unser ganzes Leben ausfüllt (wir haben jeden Tag bis 18 Uhr geöffnet), aber es hat sich gelohnt.
Bitte lassen Sie uns nicht im Stich und unterstützen Sie unser Kinderhaus, damit hier die Welt zumindest an einem kleinen Ort mitten in Rumänien eine etwas bessere ist.
Ganz viele liebe Grüße sendet Ihnen, Jenny Rasche
Kinderhilfe Siebenbürgen e. V.