Manchmal...
Manchmal fragt man sich, ob alles, was man macht, auch richtig und gut ist. Es gibt so Tage, da hat man das Gefühl, vom Schicksal förmlich gebissen zu werden. Und dann schaut man zum Himmel und fragt sich warum? Ich hatte viele solche Tage im Jahr 2013 und es gab so viele Fragen, die ich mir dabei stellte, wie noch nie.

Der Winter war verbunden mit sehr vielen schönen Momenten, denn wir konnten sehr viel helfen. Wir hatten ge¬nug Spenden für ausreichend Lebensmittel, es gab viele Nothilfen und auch sonst ging es uns körperlich gut. Wir haben wenig geschlafen und viel gearbeitet, aber es hat sich sehr gelohnt.
Im Kinderhaus war jeden Tag Hochbetrieb und ich kochte um Geld zu sparen sehr oft für meine mittlerweile 62 Schützlinge. Es fiel mir etwas schwerer als sonst, da ich schwanger mit Zwillingen war und so ein Bauch doch ganz schön ins Gewicht fallen kann. Es gab Tage, da habe ich wohl einen ziemlich wehleidigen Eindruck gemacht und noch heute frage ich mich manchmal, warum. Ich hätte glücklich sein müssen, denn es war alles perfekt. Dann bekam ich (versuche mich kurz zu fassen) im Februar die erschütternde Diagnose, dass meine kleine unge¬borene Tochter Trisomie 13 hat. Ein Gendefekt, der nach der Geburt leider kein Überleben möglich macht, sagen wir es mal ganz vorsichtig, es riss mir den Boden unter den Füssen weg und zwar so sehr, dass ich mich selbst nicht mehr erkannte. So eine Mischung zwischen Verzweiflung, Panik und Angst. Ich fing an mit dem Schicksal zu hadern, mich zu fragen, mit was ich mir das nun wieder verdient hatte, warum mein Kind nicht leben darf, warum ich mit hunderten von Kindern geredet habe und reden werde .und nur mit meiner eigenen Tochter niemals auch nur eine einzige Unterhaltung werde haben können.
Am 27.4.2013 (Philipps Geburtstag), wurden wir dann Eltern von Zwillingen, Jadon und Lillith. Unsere kleine Maus lebte nur fünf Tage und verstarb dann in den Armen von Philipp. Noch immer sehe ich dieses kleine Bündel Mensch in unseren Armen liegen und uns so machtlos und hilflos. Jenny und Philipp im Ausnahmezustand. Die Kämpfer am Boden, Tabita sprachlos... Ich denke, ich muss das nicht näher beschreiben, Sie können sich bestimmt vorstellen wie schrecklich es war.
Und doch gab es in der gleichen Zeit Grund zur Freude. Denn der Arzt entband mich ebenfalls zwei Minuten spä¬ter von einem kerngesunden Jadon. ( Jadon bedeutet übrigens Dankbarkeit). Er ist so ein süsser Wonneproppen, ich sage immer, dass er von der Sonne geküsst wurde und darum so fröhlich ist.
Manchmal denke ich, er wurde mir geschickt, damit ich nicht weine, und doch weine ich oft, wenn ich ihn lachen sehe. Er hat mit uns so viel durchgemacht und doch ist er ein Kind der Sonne und des Lichts. So wie viele meiner kleinen Kämpfer hier im Kinderhaus. Die Kinder hier hatten solche Angst um mich, dass sie mir tausende Briefe bis ins Krankenhaus schickten. Sie schickten mir Bilder, Gedichte, und viele viele Grüsse zum Muttertag. Manchmal frage ich mich, wie wohl der Himmel aussieht, in dem Lillith jetzt lebt. Ob sie uns vielleicht durch ein kleines Fenster sehen kann?
Manchmal hoffe ich das so sehr. Dann würde sie sehen wie viele Kinder hier jeden Tag sind. Manchmal frage ich mich, ob sie dann wohl stolz wäre, dass ihre Mutter nicht aufgibt. Was sie wohl sagen würde, wenn sie mich an den großen Töpfen sehen würde? Mit den 20 Kilo Kartoffelbrei und den 70 Schnitzeln (weil Gruia und Sami niemals nur eins essen).
Was würde sie zu den Wäschebergen sagen, die wir hier jeden Tag zu bewältigen haben, da es in den Hütten oft weder Wasser noch Strom gibt und doch die Kinder sauber in den Schulen erscheinen müssen. Wie würde sie es finden, dass wir eine neue Lehrerin namens Silvia haben die ganz wundervoll mit Kindern umgehen kann. Und die von den kleinen Seelen manchmal mehr geliebt wird, als ihre eigenen Mütter. Wir sind hier ein gutes Team... Eine gute Truppe die gemeinsam nur ein Ziel hat, zu helfen, zu verbessern und dauerhaft zu verändern.
Manchmal frage ich mich ob nicht doch in mir trotzdem das Herz von klein Lillith weiter schlägt und ob es nicht auch geholfen hat als ich vor zwei Monaten vor die Aufgabe gestellt wurde mit acht weiteren Familien zu arbeiten, die ich in ganz furchtbaren Zuständen gefunden habe. Und manchmal frage ich mich, ob sie es war, die mir die Kraft gegeben hat vor drei Monaten die kleine Maraanzunehmen. Ein verlassenes Baby mit zwei Löchern im Herzen. Mittlerweile geht es ihr wieder besser und ich habe (wenn auch etwas mit Verspätung) ernsthafte Muttergefühle für sie entwickelt. Jadon liebt sie so sehr, dass er mit dem ganzen Körper zappelt vor Freude, wenn er sie sieht. Ich gebe zu, am Anfang wollte ich sie nicht, weil die Wunde noch zu weh tat, aber ich habe (zum Glück) rechtzeitig realisiert, dass dieses kleine Mäuschen nichts dafür kann.
Und manchmal frage ich mich, ob die Zeit die Wunden heilen wird. Ich hoffe es sehr. Genauso, wie ich hoffe dass das EU-Projekt und mein Antrag auf Fördermittel jetzt mal endlich erhört wird (man wird ja noch träumen dür¬fen). Eingereicht ist es jedenfalls. Aber bis jetzt ist jedes Würstchen, jedes Heft, jeder Bleistift, einfach alles, was gebraucht wird, von Spenden abhängig.
Es scheint mir nach wie vor wie ein Wunder, dass es das Kinderhaus noch immer gibt und vor allem, dass wir noch immer hin und wieder Kinder aufnehmen. Nunja, das liegt wohl daran, dass wir hier nicht gut im Wegschicken sind:-))
Wenn ich all ihre kleinen Hände sehe, weiss ich tief in meinem Herzen, dass sie eines Tages viel bewegen werden. Ich werde eine alte Frau sein, wenn ich all das sehen werde und doch wird mein Blick der gleiche sein, wie auch heute, denn was immer auch passiert, man darf nie die Hoffnung aufgeben, egal, wie heftig die Situation auch ist. Das Jahr 2013 hatte alles in sich vereint, was man nur vereinen kann und ich denke ich bin erwachsener geworden als früher. Habe nicht noch nebenbei tausend andere Dinge begonnen, sondern mich ganz auf Familienhilfe und Kinderhaus konzentriert.
Daher kommt es mir manchmal auch vor, dass es ein wenig paradox ist, dass so ein Projekt an ganz banalen Din¬gen sterben kann, wie, man kann die Miete für das Kinderhaus nicht mehr bezahlen oder man hat kein Geld mehr für Essen.
Daher kann ich Sie heute auch nicht mit etwas ganz Neuem begeistern, nicht mit einer neuen Idee, für die ich Sie um eine Spende bitten möchte. Sondern ich möchte Sie bitten, die Idee, die ich einmal realsiert habe und die noch immer lebt weiter zu unterstützen, denn in gewissem Sinne ist das Kinderhaus ein Punkt in unser aller Leben, wo jeder etwas lernen kann, wo jeder etwas geben kann und wo jeder etwas bekommt.
Es ist ein Ort, so etwas wie eine Brücke, wo Seelen anderen Seelen helfen können. Wo wir uns alle treffen können. Ob per Brief, persönlich, als Bericht, wie auch immer, eine Komunikation zwischen Menschen, die schon so viel bewegt hat.
Daher war es mir auch hier ein Bedürfnis, Ihnen über meine kleine Lillith zu schreiben, damit Sie sehen, auch ich bin manchmal schwach, auch, wenn ich das nicht gern zugebe.
Manchmal schliesse ich mich irgendwo ein und weine, wenn ich realisiere welches Unrecht und welchen Lebensbe¬dingungen die Kinder ausgesetzt sind. Und dann überkommt mich doch der Stolz, dass sie nie aufgegeben haben. Dann bin ich so froh, dass wir uns alle kennen und etwas so Tolles wie das Kinderhaus zu erschaffen. Gemeinsam und mit vereinten Kräften.
Es wird immer Tage geben, an denen wir zweifeln werden. Und es wird immer Tage geben, an denen wir glauben, wir schaffen es vielleicht nicht.
Und es wird immer wieder Tage geben, an denen eine verzweifelte Mutter in meinen Armen weint. So wie Bisarka als ihr Baby gestorben ist.
Mein Papa hat mir einmal erklärt (da war ich noch klein), dass, wenn jemand stirbt, den wir liebten, wir die Auf¬gabe haben, so zu leben, dass es denjenigen stolz machen würde.So möchte ich gerne, dass, wenn Lillith wirklich dieses kleine Fenster hat, sie stolz auf ihre Mama ist und so wird es niemals auch nur einen einzigen Moment geben, an dem ich nicht an das Kinderhaus glaube. Es hat schon so viele Dinge in dieser kaputten Welt repariert. Eine Schule für uns alle.
Nun beginnen die Tage wieder kürzer zu werden und der Winter steht vor der Tür. Die Zeit, in der wir im Schnee versinken und gleichzeitig die arbeitsreichste Zeit im Jahr.
Bitte lassen Sie uns nicht allein mit unseren Aufgaben hier, denn wir haben nur Menschen wie Sie, die Erbarmen
mit denen haben, die man hier von der Gesellschaft ausgeschlossen hat.
Bitte helfen Sie dem Kinderhaus auch weiter ein Fels in der Brandung für die Kinder zu sein.
Eine ganz herzliche Umarmung aus Rumänien sendet Ihnen
Jenny
Sibiu im Oktober2013
Spendenkonten
Harzsparkasse, BLZ: 810 520 00, Kto: 300 64 596 l Volksbank Wernigerode, BLZ: 278 932 15, Kto: 101 800